Hundeschoko (Erzählung)
Die letzten Sonnenstrahlen des Tages verschwinden gerade hinter der Kirchturmuhr. Dutzende Autos brausen die Wienzeile entlang, als ginge es um ein Wettrennen, um von A nach B zu gelangen. Alles duftet nach Frühling. Alles, bis auf die Dämpfe, die aus den Abgasen der Autos rüber dringen. Ich muss husten. Es hat zum ersten Mal in diesem Jahr über zehn Grad. Der kalte, von Schneeregen und Graupelschauern geprägte Februar neigt sich dem Ende zu. Ich warte auf den 51A, der mich nach Hause bringen wird. Ein schöner Spätwintertag geht zu Ende, ganz angelehnt an „ein schöner Badetag geht zu Ende“, wie wir im Hochsommer sagen würden.
Plötzlich bäumt sich eine Frau vor mir auf. Sie sieht mich düster an, reißt an der Leine ihres schwarzen Boxer-Mischlings, und platziert sich mit einem lauten Plumps neben mir auf der Bank, auf der ich warte. Ich drehe mich weg. Ihre magere Freundin bleibt stehen und kramt eine Tafel Schokolade aus der Tasche. Das erste Stück stopft sie sich selbst in den Mund, das zweite verteilt sie an den Hund. Dieser nimmt ihr das Schokoladenstück gierig aus der Hand. „Was für eine Quälerei“, denk ich mir, denn es weiß wohl jeder, dass Schokolade schlecht für Hunde ist. Wobei schlecht ja noch untertrieben ist, tödlich wäre das bessere Wort. Sagen tue ich aber nichts. Die Hundebesitzerin würde mich umbringen, das spüre ich.
Die beiden beginnen miteinander zu reden: „Mit dem Pauli ist derzeit nix anzufangen. Der kifft sich jeden Tag die Birne zu und will dann nichts mehr machen“, sagt die Magere. Die andere erwidert: „Ja ich kenn das. War bei mir nicht anders. Vorige Woche bin ich ohnmächtig geworden, als ich mir zu viele Lines reingepfiffen habe. Und was mach ich, als ich wieder aufwache? Ich mach weiter. Die nächste Line lag schon am Tisch.“ Dann reißt sie aggressiv am Halsband des Hundes herum, der an und für sich brav am Boden liegt und sich nicht rührt.
Der Bus kommt. Rund 25 Leute steigen ein. Auch die zwei Frauen und ich sind darunter. Zufällig sitze ich wieder neben den beiden. Die Magere verfüttert erneut ein Stück Schokolade an den Hund. „Ich ess‘ jeden Tag mindestens eine Tafel, das brauch ich“, sagt sie als Kommentar dazu. Die andere reißt wieder an der Leine, dabei liegt der Hund brav zwischen ihren Füßen. Sie wirkt fahrig, aufgekratzt und aggressiv. Ich habe Angst, ihr in die Augen zu sehen. Dabei ist mein Ärger groß. Wie kann man nur so unverantwortlich mit einem Tier umgehen? Der süße Hund. Ganz brav ist er, reagiert auf jeden ihrer Befehle unverzüglich. Dennoch wird er für seinen Gehorsam bestraft. Der kann sich ja gar nicht mehr auskennen, wie mit ihm geschieht, denk ich mir. Mein Mund bleibt zu. Ich versuche wegzuschauen.
Als der Bus über die Ameisbrücke fährt, sieht man noch einmal die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Dort gibt es keinen Kirchturm, der die Sonne verdeckt. Auf meinem Gesicht landen noch ein paar Sonnenstrahlen, ich genieße es. Meine Laune hebt sich schlagartig wieder. Doch als meine Station kommt und ich aussteige, beginne ich zu grübeln: Warum sagt keiner was? Ist es nicht verantwortungslos von mir, einfach wegzuschauen, wenn ein Hund dermaßen gequält wird? Was, wenn der Hund tatsächlich stirbt, weil sie noch mehr Schokolade an ihn verfüttert? Nächstes Mal, denke ich, mach ich meinen Mund auf. Ob sie schon etwas von einer Theobrominvergiftung gehört hat, dass Hunde keine Schokolade vertragen und schon von einer Tafel sterben können, frage ich sie dann. Ein Gedanke, der mir spätestens als ich zu Hause angekommen bin, mir ein heißes Bad einlasse zu Aufwärmen, wieder entfallen ist.
Zwei Wochen später, es ist ähnlich schönes Wetter draußen, nur ein wenig kälter, sehe ich den schwarzen Boxer-Mischling und seine Hundebesitzerin erneut bei der 51A Busstation in Hietzing. Dieses Mal wirkt die Frau nicht so zugedröhnt. Ihr Blick ist immer noch hart und zum Fürchten und Davonlaufen. Aber ich erinnere mich wieder, an meine Gedanken und Gefühle, die die Situation letztes Mal in mir hervorgerufen haben, nehme all meinen Mut zusammen und spreche sie an: „Wissen Sie, dass Schokolade für Hunde tödlich sein kann?“ Sie schaut mich an mit einem bösen Blick. Wenn Blicke töten könnten, dieser würde mich binnen Sekunden umbringen. „Oide, was wüst vo mir?“ tönt es aus ihrem Mund. „Hunde vertragen keine Schokolade. Da ist Theobromin drin. Denen geht’s dann so, wie Ihnen, wenn Sie sich eine Line zu viel reinknallen“, fahre ich fort. Meine Angst ist weg. Soll sie mich doch umbringen mit ihren Blicken. Vielleicht bleibt von dem, was ich sage, ja doch etwas hängen im ihrem Kopf. Sie dreht sich von mir weg, zieht den Boxer-Mischling hinter sich nach und murmelt: „Geh scheiss’n.“ Ich bin trotzdem stolz auf mich.
Text by Barbara Wimmer